Erleichtert ein Übersetzerstudium den Berufseinstieg für Übersetzer? (Teil 1)

Fünf Jahre vergeudete Zeit in einer rheinland-pfälzischen Kleinstadt.
So mögen sich manche meiner KommilitonInnen* bei der Diplomverleihung gefühlt haben. Oder sie hatten schon vorher abgebrochen. Keine Perspektive auf dem Übersetzermarkt.

Sieht es wirklich so düster aus?
Nein. Aber viele stellen gegen Ende des Studiums fest, dass sie eigentlich gar nicht als Übersetzer tätig sein möchten. Bereits von Dozenten konnte man hören, dass nur jeder fünfte von uns tatsächlich als Übersetzer arbeiten würde.

Sind die fünf Jahre (Diplom oder Bachelor und Master) an der Hochschule wirklich vergeudet oder sind sie vielleicht gar förderlich für den Berufseinstieg?

Im ersten Teil zu diesem Thema werde ich die Aspekte des Übersetzerstudiums ansprechen, die als positiv und für den Berufseinstieg förderlich gesehen werden können.

Zukünftige Kollegen

Die Kommilitonen sind die zukünftigen Kollegen. Man sitzt in denselben Vorlesungen und Übersetzungskursen und lernt die sprachlichen Stärken und Schwächen der anderen kennen. So kann man sich bereits vor dem Berufseinstieg ein Netzwerk aus Kollegen aufbauen. Da man z. T. auch miteinander befreundet ist, lassen sich Kritiken zu Übersetzungen direkter äußern und besprechen, als dies mit „fremden“ Kollegen später der Fall wäre. Durch die gemeinsamen Studienjahre lernt man kennen, mit welchen Mitstudierenden man in der Zukunft gut zusammenarbeiten könnte und bei welchen es weniger gut passen würde. Später ist dies nicht so einfach: Die Qualität eines Kollegen lässt sich nicht unbedingt anhand der Webpräsenz oder während eines Small Talks auf einer Konferenz beurteilen. Und wer fragt schon nach einer Testübersetzung …
Auch Kommiliton, die sich nicht für den Beruf des Übersetzers entscheiden, können eine berufliche Laufbahn einschlagen, in der Sprachen verwendet werden. Sie haben möglicherweise in der Zukunft Bedarf an einem Übersetzungsservice. Für das Netzwerken lohnt sich ein Übersetzerstudium also.

Berufserfahrung beim Berufseinstieg

Begibt man sich nach abgeschlossenem Studium auf den Übersetzungsmarkt, verfügt man bereits über einige Jahre Berufserfahrung. Man übersetzt schließlich während des Studiums – zwar weitaus weniger als im Berufsleben, jedoch durchaus ca. 2.000 Wörter pro Woche. Ein Vorteil des Übersetzens beim Studium ist, dass man nicht nur seine eigene Lösung kennt. Man erfährt auch, wie Kommilitonen sich demselben Text nähern und die einzelnen Probleme ganz unterschiedlich lösen. Ein Luxus, den man später nicht mehr haben wird. Durch diesen Vergleich verbessert sich auch die eigene Leistung.

Inbegriffenes Mentorenprogramm an der Hochschule

Viele Berufsverbände für Übersetzer und Dolmetscher bieten Mentorenprogramme an, bei denen erfahrene Kollegen weniger erfahrene unterstützen. Die Hochschule bietet dies im Rahmen der Ausbildung als inklusiven Service an: in Form von Dozenten. Die Notengebung gehört hier ebenfalls hinzu. Auch wenn der Übersetzungskurs im Semester schon wieder für 8 Uhr morgens angesetzt ist – hiervon sollte man Gebrauch machen.

Kollegen aus aller Welt

Viele Sprachen, viele Kulturen. An einer deutschen Hochschule sind auch an der Fakultät für Übersetzen meist deutsche Studierende eingeschrieben, allerdings zieht dieser Studiengang Studierende aus aller Welt an – in der Regel noch mehr als in anderen Studiengängen. Dazu zählen Regelstudierende an der Hochschule, aber auch viele Austauschstudenten, beispielsweise im Rahmen des Erasmus-Programms in Europa. Auf diese Freund- und Bekanntschaften kann man später zurückgreifen und sie in sein Netzwerk integrieren.

Selbstdisziplin

Es gibt bekanntlich nicht die eine richtige Übersetzung. Eine Übersetzung kann durchaus falsch sein, wenn Daten nicht richtig wiedergegeben werden oder der Sinn schlicht nicht korrekt ist. Bezüglich stilistischer Feinheiten (auch: Vorlieben), des genauen Sinns des Ausgangstextes, des Verständnises der Zielgruppe usw. gibt es jedoch unterschiedliche Meinungen. Diese können sehr wohl alle ihre Gültigkeit haben. Eine mathematische Formel für die Übersetzung eines Textes gibt es nicht. Ebenso kein Auswendiglernen mit Multiple-Choice-Tests oder Abfragen von Vokabeln. Will man sich verbessern, muss man sich also selbst darum bemühen in dieser oftmals grauen Zone zwischen falsch und gut. Später im Berufsleben ist diese Selbstdisziplin nötig, wenn man freiberuflich tätig ist – was auf den Großteil der Übersetzer zutrifft. Der Notendruck an der Hochschule ist eine gute Übung. Der Einkommensdruck ist wesentlich motivierender.

Dokumentierte Ausbildung

Man hat es. Schwarz auf weiß. Das Hochschulzeugnis. Dieses öffnet tatsächlich viele Türen. Berufsverbände für Übersetzer haben strenge Aufnahmekriterien. Mit einer Hochschulqualifikation öffnen sich hier die meisten Türen problemlos. Eine (beglaubigte) Kopie des Zeugnisses zusammen mit anderen Unterlagen einsenden und in der Regel wird man aufgenommen. Die Mitgliedschaft in anerkannten Berufsverbänden unterstreicht die Glaubwürdigkeit und Professionalität und ist neben dem Hochschulzeugnis ein weiterer Pluspunkt bei der Vergabe von Aufträgen. Hat man dieses Dokument nicht, wird es etwas schwieriger. Oft muss ohne fachliche Ausbildung für die Aufnahme eine langjährige Tätigkeit in der angegebenen Sprachkombination und im Fachgebiet vorgewiesen werden.
Das Abschlusszeugnis an sich ist das wohl stärkste Argument für den Besuch einer Hochschule als zukünftiger Übersetzer.

*Die maskuline Form schließt ab hier die feminine Form ein.

Nächster Teil: Weniger zweckdienliche Aspekte des Übersetzerstudiums für Berufseinsteiger

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